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Stephanie Haas

 
Sofia Gubaidulina: Aus den Visionen der Hildegard von Bingen
 

Pressestimmen

 

"Eine Matinee mit der Stuttgarter Sängerin und Percussionistin Stephanie Haas strafte all jene Lügen, die meinen, in der Kunst mangle es an weitertreibenden Impulsen. Stephanie Haas intonierte das Vokalwerk "Aus den Visionen der Hildegard von Bingen", eine Komposition der Sofia Gubaidulina zum 60. Geburtstag ihres schwerkranken Komponistenfreundes Alfred Schnittke. Den Leitgedanken des diesjährigen Zyklus, orientiert an Werken jener bedeutenden Frauengestalt des Hochmittelalters, griff die Sopranistin Haas auf und verdichtete ihn mit der Kunst ihres Pansori-Vortrags, einer koreanischen Musikgattung, in der Erzählkunst, Musikalität, und dramaturgische Gestaltung vom Charakter der visionären Sängerin zusammengehalten und getragen werden.

Beseelter Atem, schreiend gestoßenes Koloratur-Rezitativ, Lautmalereien, Schnell-Sprech-Gesang durchziehen die mittelalterlichen bis neuzeitlichen Texte und deren moderne Vertonung. Die Stimme der Sängerin ist Mittelpunkt. Meeresmuscheln, Metallkettchen, Gegenschlagblöcke, Tambourin und kleine Trommel sind das Salz zur Stimme, schmeicheln und unterstützen den szenischen Gesang. Keine Frage, sie weiß, wohin sie geht im eigenwillig intellektuellen Prozess, dem Vertonen von Gedanken, der virtuosen Interpretation zeitgenössischer Partituren. Mit packender Mimik trägt sie Apokalyptisches ("Die sieben Plagen") bis leidvoll Banales ("Monolog" einer Zeitungslesenden) scharfzüngig prägnant vor - gleich einer scheinbar leicht dahinsummenden Sirene, einem vehement weiblichen Wotan oder einer ausdrucksstarken Primadonna. Ob Myriaden von Mückenschwärmen, Froschgequake, schreckhaftes bis angeödetes Durchblättern der Zeitung und Sinnieren über manche Sinnlosigkeit des ausufernden Blätterwaldes - stimulierende Rauchzeichen quellen aus gestikulierender Stimmhaftigkeit. Sie hat ihn, den harten Geist im weichen Herz, wie ihn Widerstandskämpferin Sophie Scholl für ihr Ringen gegen böse Mächte forderte. Bleibende Impressionen aus dem reichen Repertoire einer ungewöhnlich eigenständigen Künstlerin.   (rö, Ludwigsburger Kreiszeitung)

 
 
Vojtěch Saudek:
Das große Lalula und andere Galgenlieder, für eine Singstimme und einen Schlagzeuger (1999)

 

Tanz der Luftgeister, Monologe über dem Abgrund

Ein fulminanter Abend: Stimmkünstlerin Stephanie Haas, Saxophonist Gert Anklam und Schlagzeuger Christoph Haas haben bei den Reutlinger Musiktagen eindrucksvoll unter Beweis gestellt, wie aufregend und facettenreich, wie phantastisch und spielerisch-verspielt, wie sehens- und hörenswert Gegenwartsmusik sein kann. Musik als Liebeslied und Schmerzgeschrei, Musik als Reflexion über die Absurditäten unseres Alltags und als reines, himmlisches Klingen, Musik als Beschwörung von Luftgeistern und ekstatischer Tanz auf gespanntem Trommelfell.

Ein Glücksgriff, just dieses Trio zum richtigen Zeitpunkt nach Reutlingen gerufen zu haben, zur Musiktage-Zeit, wo das öffentliche Interesse offenbar auch an den Nischen erfreulich groß ist und die Neugier geweckt wurde auf Neue Musik, die im Reutlinger Kulturleben ansonsten noch immer den Status eines Geheimtipps besitzt. Wer jedoch erleben will, mit welcher Energie, mit welcher Unmittelbarkeit und welchem Können Nusik belebt und gelebt werden kann, der ist in Reutlingens Musica-Nova-Reihe am rechten Ort, wo Stephanie Haas, die Protagonistin dieses Abends, schon mehrfach die Bühnenbretter zum Beben gebracht hat, gar kleine Triumphe feierte. Angereist war die Stuttgarter Stimmkünstlerin diesmal mit Gert Anklam (Saxophon) und Christoph Haas (Percussion), zwei ebenfalls hochprofessionellen und enorm ausstrahlungsreichen Künstlerkollegen, die das artifizielle Musizieren ebenso beherrschen wie das wild-impulsive. Sie füllen und befühlen die Musik mit pulsierender Leichtigkeit und vibrierender Körperlichkeit.

Roter Faden des Programms, in feiner Abstimmung mit dem Musiktage-Motto „Stimmen-Klang“: die Stimme in ihrem So-Sein, ihrem So-verschieden-Sein, vor allem aber in ihrem Allein-Sein. Da spannte sich der Bogen von Adriana Hölszkys grotesk-phantastischen Zeitungsausschnitt-Fetzen (1977) über das infernalische Schmerzgeschrei einer Dante-Deutung des Stuttgarter Mirko Kelemen (2007) bis hin zum Uraufführungs-Werk „Traumgesicht“ des Schweizer Komponisten Klaus Huber, das eine kühne Endzeit-Vision Albrecht Dürers mit Versen der Apokalypse in faszinierende, hochexpressive Stimmverläufe überführt. Das einsame Subjekt in Selbstansprache, in Weltansprache, mal ganz innerlich, dann ganz äußerlich: Der zu feinsten Feinheiten fähigen und schroffste Schärfen nie scheuenden Stephanie Haas gelang die Gratwanderung auf ihren Stimmbändern wohl am schönsten, innigsten und ekstastischsten in dem poetischen, wunderbar formvollendeten neuen Werk von Helmut Zapf, „weiß und rot“ (2008). Ein Liebeslied auf Texte des biblischen „Hohen Liedes“, das den abwesenden, fernen Geliebten beschwört. In aparter, fremdartig-vertrauter Sinnlichkeit die Singstimme, umgeben von einer Aura schillernder Klänge, die Christoph Haas und Gert Anklam (auf der Sheng, der altehrwürdigen chinesischen Mundorgel) mit stupendem Feingefühl errichteten. Dass Haas und Anklam von den Erfahrungen außereuropäischer Musik- und Musizierkultur tiefgreifend geprägt sind, wurde nicht nur hier, im sensiblen Umgang der Künstler mit dem Zeit- und Stimmungsgehalt der Musik, aufs Schönste offenbar. Auch streuten sie eigene Kompositionen und Improvisationen ins Programm, moments musicaux voll archaischer, dann wieder sphärischer Klangwirkungen, schwebend und schwingend, bebend und brodelnd, dabei jedoch nie eintönig, sondern neu und stets anders, reich.

Aufhorchen ließ dabei vor allem Christoph Haas, dessen von forschendem Spürsinn geleiteten Klang-Erfindungen zu den überhaupt subtilsten Entdeckungen des Abends gehörten. Im uraufgeführten, feinst nuancierten „Einatmen – Ausatmen“ für Stimmen, Baritonsaxophon und Streichpsalter (2008) wird der Luftzug eines Besens, der eine, gezischte Laut zum Ereignis, zur Welt. Wie von unsichtbarer Hand gelenkt, bevölkern tänzelnd und wirbelnd Luftgeister den Raum, lachen, gackern, singen und säuseln, bis sie aufhören zu sein.
(Rafael Rennicke)

 
 
Thomas Luzian: Elegie, 1986
(auf einen Text von Walther von der Vogelweide)